Vom Verlust der leisen Töne

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Vor knapp zwei Jahren habe ich mir „neue Ohren“ gegönnt, na ja, ein Paar Hörgeräte. Zu lange hatte ich mich in lauter Umgebung aus Gesprächen ausgeschlossen gefühlt; ich konnte einfach die Stimmen der einzelnen und was sie sagten nicht mehr so genau unterscheiden. Mit den neuen Hörgeräten bin ich wieder mitten im Geschehen: Ich kann den meisten Gesprächen folgen, manches Musikstück entdecke ich neu und empfinde dabei einem besonderen Genuss; außerdem höre ich plötzlich wieder Wasser aus dem Hahn rauschen, Papier rascheln und selbst gelegentlich das leise Piepsen der Spülmaschine, die das Ende des Programms ankündigt. Viele verloren gegangene Töne sind wieder da!

Dennoch vermisse ich die leisen Töne! Noch mehr vielleicht die Zwischentöne. Aber ganz wo anders. Als Mensch der Medien und der Kommunikation verfolge ich natürlich die tägliche Nachrichtenwelt mit großer Neugier und sehe, dass sie hier weitgehend verloren gegangen sind. Übrig geblieben ist fast allein das laute Geschrei. Das zeigt sich besonders dieser Tage bei den Stimmen und Kommentaren zu den Sondierungsgesprächen für die so genannten Jamaika-Koalition, ihrem Scheitern und der hastigen Suche nach Auswegen zwischen Neuwahlen, Minderheitsregierung und erneuter Großer Koalition. Eine Meute von Tagesjournalisten hetzt die Politiker vor ihre Kameras und Mikrofone, aber mir kommt es vor, dass sie den Antworten kaum noch zuhört. Es ist, als ob sie nicht mehr die Zeit hat, das Gesagte zu verarbeiten, oder es auch gar nicht will. Besserwisser sind zumeist unterwegs und verkünden ihre Meinung in aufgeregter und hochgerüsteter Sprache.

Kommen Politiker nach zehnstündigen Verhandlungen („Gesprächs-Marathon“) müde und abgeschlagen aus der Sitzung, steht bereits die Meute hungrig vor ihnen: zahllose Mikros und Kameras nehmen auf, was jene zu sagen haben müssen, ohne dass sie überhaupt vorher die Zeit hatten, die Ergebnisse ihrer stundenlangen Beratungsrunden zu reflektieren. Sie sind gezwungen sich dem zu beugen – sie müssen sprechen, auch ohne groß nachzudenken; sie haben es ja in vielen Medientrainings gelernt, ihre häufig genug wenig inhaltsvollen „Statements“ einfach abzuspulen. Journalisten erwarten nur bestätigt bekommen, was sie selbst längst zu wissen glauben oder als richtig erkannt und in der Wartezeit schon in die Kameras und Mikrofone dem Publikum verkündet haben. Hast ist ihr Kennzeichen: Mehr als 30 Sekunden darf ja das Statement nicht dauern, da schaltet bekanntlich der Zuschauer weg. Und so bleiben bloße Meinungen übrig, aus Zeit- und Gedankenmangel vorgefasst, denen längst die Analyse zum Opfer gefallen ist. „Meinung ist ein Handelsgut. Da geht es darum, lauter, schriller, schneller, schlagfertiger zu sein. Oder darum, auf erwartbare Fragen erwartbare Antworten zu geben. […] Das Schnellurteil wird zum wesentlichen Moment der Kommunikation“ […] „Der Urteilende bleibt unschuldig. Für eine Meinung kann man nicht haftbar gemacht werden“, sagt sehr zutreffend der Kulturphilosoph Joseph Vogl in einem Interview für ZEIT-Wissen (Nov./Dez. 17).

Politikern, die einen harten und mühevollen Job mit viel Verantwortung ausüben, wird mit Respektlosigkeit begegnet. Anstand und Höflichkeit sind verloren gegangen. Selbst die vermeintlich seriösen Medien opfern der Schlagzeile den Anstand. So lese ich in der ARD-Tagesschau die Nachricht-Bauchbinde „Sondierer zum Rapport beim Bundespräsidenten“, als ob hier der Gefreite vor dem Oberst strammstehen muss. Auch so ein erfahrener Kommentator wie Hans Prantl (Süddeutschen Zeitung) wirft sich in Pose und macht scheinbar gedankenlos den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit dem Vorwurf der „Verantwortungslosigkeit“ nieder, als ob dieser völlig unbedacht, sich Verhandlungen entzogen habe. Und im nächsten Augenblick wirft Prantl sich in die Pose des Staatsmanns und redet eine „Große Koalition“ herbei, gleichsam als ob Aufgabe des Journalisten Politik zu machen sei. Statt mit analytischer Kritik wird dem gewählten SPD-Vorsitzenden Martin Schulz mit Häme begegnet. Und Titelblätter von vermeintlich seriösen Wochenmagazinen überschreiten schon mal zugunsten des Marketings die Grenzen des guten Geschmacks und bewegen sich am Rand der Beleidigung (Beispiel). Interviews kommen im rüden Ton des Exekutionskommandos daher. Schließlich versteigen sich viele Medien auch noch zu behaupten,  die ganze Welt sei „besorgt über die politische Krise in Deutschland“. Merken sie nicht, dass sie völlig aus der Rolle fallen? Weniger stabile Länder als Deutschland wie etwa Belgien, kommen sogar ein Jahr ohne eine neue Regierung aus und gehen deshalb nicht unter. Warum sollte gerade unser Land, wirtschaftlich stark und stabil wie kaum zuvor, deshalb abstürzen?

Was mir an der ganzen Aufregung missfällt, ist die Aufregung selbst: das ständige laute Geschrei, das jeden leisen Ton unmittelbar und fast völlig übertönt, so dass kein Zwischenton mehr hörbar ist, geschweige denn zugelassen wird. Unanständig empfinde ich die „Besserwisserei“ insbesondere der politischen Journalisten und Kommentatoren. Nicht allein, dass sie sich immer wieder „gemein machen mit der Sache“, der Meinung des vermeintlichen „Mainstreaming“ – heute die der Verantwortung heuchelnden Moralisten und morgen wer weiß welchem Trend…  Man merkt Ihnen auch leicht an, nach wessen Wind sie sich gleich wieder drehen werden.

Dabei wäre doch ihre Aufgabe eine ganz andere: Als kenntnisreiche aufmerksame Betrachter der politischen Entwicklung erwarte ich von ihnen die Analyse, das Abwägen und das Einordnen ohne vorgefasste Meinung. Wohltuend war für mich dieser Tage ein Post auf Facebook mit einem Ausschnitt aus einer Gesprächsrunde aus dem Fernsehen der 70er: Die Moderatorin Marianne Koch im Gespräch mit Vicco von Bülow, besser bekannt als „Loriot“. Was heute Gang und Gebe ist, hat er damals schon erkannt und verurteilt: „Was mich stört […] ist, dass mit dem Fernsehen Politik gemacht wird, weil sehr viele Fernsehleute es nicht lassen können, ihre völlig unmaßgebliche politische Meinung über den Bildschirm verbreiten zu müssen.“ Auf Nachfrage präzisiert er: „Dass aber einer so tut, als ob er in Besitz der Wahrheit sei, und sagt er sei objektiv, was er aber in Wirklichkeit macht, ist dass er in schlimmster Werbemanier seine persönlichen politischen Ansichten verkauft – es ist widerwärtig!“ Loriot verlangte von Fernsehleuten (und das sollte von mir aus auch für andere Medien gelten), aus ihrer persönlichen politischen Meinung ein Rätsel zu machen. Denn: „Der richtige Platz eines verantwortlichen Fernsehmachers ist zwischen allen Stühlen und nicht auf den selben.“

Es wäre Zeit, sich vom  bloßen Meinen wegzubewegen hin zu einer Kultur der Neugierde und dem Bedürfnis nach Analyse und Verstehen. Dahin wünschte ich mir Medien zurück. Dafür sind neben tiefer Kenntnis der politischen Lage, der Fähigkeit zu klaren und aus Neugierde begründeten Fragen die leisen Töne notwendig. Und dazu ist eine Eigenschaft unabdingbar: Distanz zur eigenen Person! Sie findet man immer seltener in politischen Ressorts der Medien, wohl aber in manchen politischen Beiträgen von Feuilletonisten.

Weg von den Superlativen und dem allgemeinem Geschrei wäre mehr als hilfreich, und natürlich mehr Zeit! Warum müssen sofort nach Ereignissen fertige Meinungen präsentiert werden? „Zeitdruck erschwert Manieren“, sagt zurecht Joseph Vogl. Wenn die Medien sich manchem Druck entzögen, würde vielleicht auch das Publikum wieder lernen, jene leisen Töne und Zwischentöne zu hören, die es insbesondere mit dem Aufkommen der sozialen Medien zu hören verlernt hat und wodurch es selbst inzwischen zur lauten, hetzenden Meute geworden ist.

Aber vielleicht tragen nicht nur die Journalisten und Kommentatoren Schuld, sondern in erster Linie die Änderungen in der Struktur der Öffentlichkeit und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. „Das Medium ist die Botschaft“ schrieb Marshall MacLuhan in den frühen 60ern. Die heutige Hast, die ständige Erreichbarkeit, die Vielzahl an 24-Stunden „live news“, die fortwährenden Tweets, Facebook Postings und Whatsapp Nachrichten lassen kaum noch Zeit für Analyse und Zurückgezogenheit. Dabei sein ist alles – als ob die mediale Präsenz zur neuen Olympischen Disziplin avanciert ist. Ist daher jede Forderung nach Innehalten sinnlos?

Ich hoffe nicht. Man könnte mir vorwerfen, ich sei völlig aus der Zeit gefallen. Vielleicht ist es so. Obwohl auch ich mich der Faszination des Dabeiseins nicht entziehen kann, obwohl auch ich auf Facebook aktiv, gelegentlich in Twitter unterwegs bin, gönne ich mich zunehmend die Ruhe zum Lesen dicker Bücher und langer Beiträge. Ich ziehe mich zunehmend dafür auf die Couch und das stille Zimmer zurück Und was die laute Welt angeht: Manchmal bin ich sogar froh und glücklich über die Möglichkeit, die Hörgeräte ausschalten und mich dieser leiseren Welt zu widmen zu können.

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