Archiv der Kategorie: Sprachkritik

Vom Verlust der leisen Töne

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Vor knapp zwei Jahren habe ich mir „neue Ohren“ gegönnt, na ja, ein Paar Hörgeräte. Zu lange hatte ich mich in lauter Umgebung aus Gesprächen ausgeschlossen gefühlt; ich konnte einfach die Stimmen der einzelnen und was sie sagten nicht mehr so genau unterscheiden. Mit den neuen Hörgeräten bin ich wieder mitten im Geschehen: Ich kann den meisten Gesprächen folgen, manches Musikstück entdecke ich neu und empfinde dabei einem besonderen Genuss; außerdem höre ich plötzlich wieder Wasser aus dem Hahn rauschen, Papier rascheln und selbst gelegentlich das leise Piepsen der Spülmaschine, die das Ende des Programms ankündigt. Viele verloren gegangene Töne sind wieder da!

Dennoch vermisse ich die leisen Töne! Noch mehr vielleicht die Zwischentöne. Aber ganz wo anders. Als Mensch der Medien und der Kommunikation verfolge ich natürlich die tägliche Nachrichtenwelt mit großer Neugier und sehe, dass sie hier weitgehend verloren gegangen sind. Übrig geblieben ist fast allein das laute Geschrei. Das zeigt sich besonders dieser Tage bei den Stimmen und Kommentaren zu den Sondierungsgesprächen für die so genannten Jamaika-Koalition, ihrem Scheitern und der hastigen Suche nach Auswegen zwischen Neuwahlen, Minderheitsregierung und erneuter Großer Koalition. Eine Meute von Tagesjournalisten hetzt die Politiker vor ihre Kameras und Mikrofone, aber mir kommt es vor, dass sie den Antworten kaum noch zuhört. Es ist, als ob sie nicht mehr die Zeit hat, das Gesagte zu verarbeiten, oder es auch gar nicht will. Besserwisser sind zumeist unterwegs und verkünden ihre Meinung in aufgeregter und hochgerüsteter Sprache. Vom Verlust der leisen Töne weiterlesen

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„Postfaktisch“ – ein Kampfbegriff von Intellektuellen

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In den letzten Monaten macht der Begriff „postfaktisch“ die Runde durch die deutschen Medien – und heute (9.12.2016) ist er von der Deutschen Gesellschaft für Sprache und Literatur zum „Wort des Jahres“ geadelt worden. Besser wäre, sie hätte ihn zum „Unwort des Jahres“ gewählt!

Seine Karriere ist, so meine Beobachtung, sehr eng verbunden mit den Lügen, die der inzwischen gewählte designierte Präsident der USA, Donald Trump, im Wahlkampf verbreitet hat. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht insbesondere intellektuelle und bürgerliche Journalisten das „postfaktische Zeitalter“ ausrufen oder herbeischreiben wollen. Selbst ins berühmte Oxford Dictionary hat der Begriff „post truth“ Eingang gefunden. Und nur wenige Stimmen höre ich, die da widersprechen, so etwa Joachim Müller-Jung (FAZ) „Die ‚postfaktische Ära‘ ist Nonsens“, oder zuletzt Prof. Andreas Zick auf dem „Forum Wissenschaftskommunikation“ in Bielefeld, der den Begriff zurechtrückt: „Postfaktisch ist ein falscher Begriff, es geht um Verzerrung.“ „Postfaktisch“ – ein Kampfbegriff von Intellektuellen weiterlesen

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„Herausforderung“  

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Über die Verarmung der deutschen Ausdrücke

Neulich las ich in einer Stellungnahme der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) zur „Humanen Genomsequenzierung“ folgende Zeilen: „Eine besondere Herausforderung stellen die sogenannten Zusatzbefunde dar.“ Und nur einen Gedankenstrich weiter: „Die Aufklärung von Patientinnen und Patienten bei humangenetischen Fragestellungen ist besonders herausfordernd und vielschichtig.“ Die Beispiele sind beliebig, ich könnte Hunderte weitere solcher Sätze aus Stellungnahmen, Pressemitteilungen und auch aus Interviews von Politikern zitieren. Ein weiteres Beispiel gefällig: „Geld hatte der Staat zu Zeiten der Hochschulgründungen genügend, die Politik hoffte mit Zuversicht, dass die Region sich als blühende Wissenslandschaft entfalten würde. Die Hege und Pflege dieses Erbes ist bis heute eine Herausforderung.“

Was kaum noch auffällt: Jedes Problem, jede Aufgabe, jede Schwierigkeit, ja auch jede Brüskierung, jede Bedrohung, jeder Affront wird verharmlost zur „Herausforderung“. „Herausforderung“ bzw. „herausfordernd“ gerinnen zu einem „Plastikwörtern“ (Uwe Pörsken): Diese Wörter tauchen in beliebigen Zusammenhängen auf, sind vielfältig verwendbar, klingen gut, man fragt nicht danach, was dahinter steckt bzw. die Sprecher sagen wollen; sie drücken sich damit aber stereotypisch und geschwollen aus. „Herausforderung“   weiterlesen

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