Über die Verarmung der deutschen Ausdrücke
Neulich las ich in einer Stellungnahme der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) zur „Humanen Genomsequenzierung“ folgende Zeilen: „Eine besondere Herausforderung stellen die sogenannten Zusatzbefunde dar.“ Und nur einen Gedankenstrich weiter: „Die Aufklärung von Patientinnen und Patienten bei humangenetischen Fragestellungen ist besonders herausfordernd und vielschichtig.“ Die Beispiele sind beliebig, ich könnte Hunderte weitere solcher Sätze aus Stellungnahmen, Pressemitteilungen und auch aus Interviews von Politikern zitieren. Ein weiteres Beispiel gefällig: „Geld hatte der Staat zu Zeiten der Hochschulgründungen genügend, die Politik hoffte mit Zuversicht, dass die Region sich als blühende Wissenslandschaft entfalten würde. Die Hege und Pflege dieses Erbes ist bis heute eine Herausforderung.“
Was kaum noch auffällt: Jedes Problem, jede Aufgabe, jede Schwierigkeit, ja auch jede Brüskierung, jede Bedrohung, jeder Affront wird verharmlost zur „Herausforderung“. „Herausforderung“ bzw. „herausfordernd“ gerinnen zu einem „Plastikwörtern“ (Uwe Pörsken): Diese Wörter tauchen in beliebigen Zusammenhängen auf, sind vielfältig verwendbar, klingen gut, man fragt nicht danach, was dahinter steckt bzw. die Sprecher sagen wollen; sie drücken sich damit aber stereotypisch und geschwollen aus.
Was meint nun Herausforderung? Im Alt- und Mittelhochdeutschen war mit „fordern“ ein „Verlangen“, aber auch das „anklagen“ verbunden, die Vorladung vor das Gericht; dahinter steckte auch anmahnen, befehlen, später das auch „überfordern“ und „ausdrückliches Verlangen“. Das Grimmsche Wörterbuch verbindet es noch mit der „provocatio“, (lat. die „Herausforderung zum Kampf“ bzw. „die Berufung auf einen höheren Richter“). Noch im 19. Jahrhundert „forderten“ sich Kontrahenten, so sie satisfaktionsfähig waren, zum Duell „heraus“.
Heute ist das alles passé! Man hat keine Probleme mehr, sondern steht vor (positiv ausgedrückt) Herausforderungen, man steckt nicht in Dilemmata, sondern vor einer Herausforderung, der Humangenetiker ist „herausgefordert“, die Nachricht eines bedrohlichen genetischen Defekts möglichst in Watte zu verpacken.
Soweit ich es beurteilen kann, ist das Wort „Herausforderung“ nicht zuletzt verarmt durch das Aufkommen der so genannten „political correctnes“. Zwar findet man für das englische Wort „Challenge“ ähnliche Bedeutungsnuancen wie „Aufforderung“, „Problem“, „Schwierigkeit“ etc. Aber weitere Nuancen mischen sich hinein und gewinnen an Bedeutung, darunter insbesondere – in der Übersetzung – „lockende Aufgabe“ und „Behinderung“. So darf man seit der Verbreitung der political correctnes nicht mehr sagen, jener sei „disabled“ („behindert“), sondern „challenged person“ („besonders herausgefordert“).
Die Sprache der „political correctness“ hat meines Erachtens viel mit der Sprache der Public Relations und des Marketings gemeinsam – und natürlich der Sprache des Politikers vor der Presse. Zwar sollen Pressesprecher die „Wahrheit“ verkünden, sie machen aber sehr schnell im Job die Erfahrung, dass sie zwischen allen Stühlen sitzen. So sehr sie um Glaubwürdigkeit bei Journalisten bemüht sind, so sehr sind sie dennoch Vertreter ihrer Institutionen und somit ihr und ihren Chefs die unbedingte Loyalität schuldig. So wird alles schön wolkig ausgedrückt, um ja niemandem auf die Füße zu treten oder – ganz natürlich – seinen Job nicht zu gefährden. Das wiederum begünstigt die Verarmung der Sprache. Lese ich neuere Meldungen aus der akademischen Welt etwa, aus den USA, England, aber auch inzwischen einiger deutscher Universitäten, so komme ich nicht umhin festzustellen, dass dieser Zeittrend sich verstärkt und die Verantwortlichen noch weniger bereit sein werden, „the middle of the road“ zu verlassen. Man möchte ihnen „mehr Mut“ zurufen …
Und so geraten wir immer mehr vor „Herausforderungen“, nicht mehr aber vor die Aufforderung zum akademischen Duell.
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