Auf den idw prasselt die Kritik ein: Was sich schon auf dem Forum Wissenschaftskommunikation in Bonn in persönlichen Gesprächen andeutete, kommt nun im Tagestakt auf: Mittwoch (14.11.2018) Marcus Anhäuser im „Medien-Doctor“, nur einen Tag später Elisabeth Hoffmann (15.11.) auf wissenschaftskommunikation.de – und wer reiht sich in den nächsten Tagen noch in unter die idw-Kritiker ein?
Was ist denn so Gravierendes passiert, dass manche Granden aus der Welt der Wissenschaftskommunikation granteln? Hoffmann startet ihren Text sogar mit Ihrem Faible für „Krisenkommunikation“ und bemüht das Bild vom Elefanten, den man im Bildhintergrund nicht sieht. „Krise“, „Integrität“ „PR-Skandal“ usw. – starke Worte – geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Und was ist wirklich des Pudels Kern?
Der Stein des Anstosses: Die neue Magazinansicht
Der idw hat neue Magazinansicht lanciert, die noch unter meiner Verantwortung entstanden ist. Mit ihr versucht er, die Meldungen seiner Mitglieder deutlich attraktiver als bisher zu präsentieren, die Bilder wirkungsvoller hervorzuheben, wie andere es längst schon tun, beides mit dem Ziel, mehr Reichweite zu generieren. Da steckt keine Systemänderung drin, die Arbeitsweise bleibt für die Mitglieder und die Empfänger der Meldungen dieselbe, die traditionelle Homepage des idw besteht weiter und ist die Zentrale. Und die Änderung ist offen und ehrlich kommuniziert worden. Der idw ist seinen Mitgliedern verpflichtet und bietet ihnen und den Nutzern zusätzliche Dienstleistungen.
Die neue Magazinansicht ist die erste Maßnahme, weitere werden in naher oder mittlerer Zukunft folgen. Daran arbeitet fleißig das Team. Vorausgegangen ist dem Ganzen eine Anfang 2016 gestartete Strategiediskussion im idw, in die er auch die Community einbezogen hat: Etwa 40 Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaftskommunikation und dem Wissenschaftsjournalismus waren beteiligt, darunter Elisabeth Hoffmann. Beteiligt waren zudem vom idw-Vorstand die fachnahen Mitglieder, immerhin fünf aus der „Community“, alles gestandene Journalisten, die inzwischen ihr Auskommen in der Wissenschaftskommunikation finden.
Geht nun wirklich aus dieser neuen Magazinansicht eine „Krise“ hervor? Oder gar die Welt zugrunde? Was steckt hinter der Kritik an dem idw? Schauen wir uns mal die Argumente genauer an. Beide Kritiker (und mündlich andere in Bonn ähnlich) hängen sich am vom idw zentral platzierten Wort „Nachrichten“ auf. Was ist eine Nachricht? Marcus Anhäuser verweist selbst auf die dürre Recherche von Sören Müller-Hansen (TU Dortmund): „Die Nachricht ist eine direkte, auf das Wesentliche konzentrierte und möglichst objektive Mitteilung über ein neues Ereignis, das für die Öffentlichkeit wichtig und interessant ist.“
Nach dieser Definition gab es Nachrichten lange, bevor der Journalismus entstand – ob der Götterbote Hermes dazu gehörte, weiß ich nicht, aber sicher Pheidippides, der nach einem ca. 40 Kilometer langen Lauf die Kunde des Sieges über die Perser vom Schlachtfeld nach Athen gebracht und nach Überbringung der Nachricht auf dem Aeropag an Erschöpfung gestorben sein soll. Heute stirbt daran niemand mehr an Erschöpfung, und auch der Überbringer schlechter Nachrichten wird nicht mehr erschossen, sonst gebe es keine Journalisten mehr. Aber der Journalismus reklamiert für sich die Oberherrschaft über die „Nachricht“ und definiert sie zusätzlich mit „objektiv“, „transparent“, „alle Seiten zeigen“ und „wertungsfrei“; darüber lässt sich angesichts der Medienwelt, in der wir leben, sehr wohl streiten, philosophisch sowieso. Dennoch: Fakt ist: Das Wort „Nachricht“ schmückt den Claim „Informationsdienst Wissenschaft – Nachrichten, Termine, Experten“ seit mindestens 2013 auf seiner Homepage. Warum also erst heute die Aufregung?
Beide Kritiker stützten sich darüber hinaus darauf, dass die Meldungen des idw nicht ausschließlich Journalisten erreichen und vorbehalten sind, die bekanntlich Nachrichten kritisch hinterfragen, einordnen und beurteilen, und sich angeblich fragen, ob sie die Nachricht überhaupt bringen sollen? Nur: dieses Argument sticht nicht! Die Pressemitteilungen des idw sind schon nach seiner Gründung ab ca. 1996 online und für alle Internetnutzer frei zugänglich – so wie übrigens in der Folge z.B. alle Presseinformationen die Ruhr-Universität Bochum und vieler anderer Hochschulen und Institutionen. Nach mehr als 20 Jahren die Forderung zu erheben, „das aus dem vordigitalen Zeitalter stammende Format der Pressemitteilung (zu) überdenken und womöglich völlig neu (zu) konzipieren: Den Verantwortlichen und Machern muss klarer werden, dass daraus eine neue Verantwortung erwachsen ist“, klingt doch etwas sehr „strange“. Kommt hier die Community nicht zu spät zur Sache? Was hat sich zuletzt so plötzlich geändert, dass nunmehr Menschen nicht mehr selbst in der Lage sein sollen, Meldungen zu beurteilen? Habe ich da was nicht mitbekommen? Und war das früher sogar anders? Man könnte fragen, ob im Argument von Hoffmann, wonach „unsere Verantwortung enorm gewachsen“ sei, nicht eine gute Portion Hybris und Überhöhung steckt? Doch lassen wir das …
Was hinter der Kritik steckt …
Wo liegt also der Hase im Pfeffer? Der eigentliche Knackpunkt ist unter Anhäusers Überschrift „Eine idw-Redaktion als Gatekeeper“ zu finden; diese Forderung kann man übrigens auch aus dem letzten Spiegelstrich von Hoffmann herauslesen: „Der idw braucht dringend mehr Qualitätskontrolle. Das kostet Ressourcen. Ich würde dafür auch höhere Mitgliedsbeiträge zahlen.“ Dahinter steckt eine Entwicklung, die man als „Krise des Journalismus und des Wissenschaftsjournalismus“ seit 10 Jahren gut beobachten kann (siehe dazu auch meinen Beitrag „Wissenschaft ist für alle zugänglich“). Aus dieser Krise scheint der Journalismus nicht in der Lage zu sein, sich aus eigener Kraft zu befreien – und so schiebt er mit der „Gatekeeper-Funktion“ zugleich die ganze Verantwortung direkt dem idw in die Schuhe.
Das ehrt und adelt den idw ungemein! Aber verlangt man damit nicht zu viel von ihm? Wäre er dazu überhaupt in der Lage? Selbst wenn Hoffmann und vielleicht viele andere Mitglieder auch ausdrücklich bereit wären, dafür deutlich mehr für seine Dienste zu bezahlen? Und wären sie das wirklich? Wie viele Mitglieder würden mitmachen, wie viele abspringen?
Zunächst sollte jeder wissen, der sowas fordert: das wäre ein kompletter Systembruch des idw! Der idw ist nach seiner Konstruktion und seinem Selbstverständnis ein Dienst für seine Mitglieder, für die gut 1.000 Hochschulen, wissenschaftlichen Institute, Organisationen etc. die ihn mit ihren Mitgliedsbeiträgen finanzieren. Diesen ist er verpflichtet, nicht der gesamten Öffentlichkeit. Ihm also die Gatekeeper-Funktion zuzuschanzen, weil Journalisten sie längst nicht mehr erfüllen können, heißt ihn vollkommen zu überfordern. Das kann er nicht mit dem vorhandenen Personal – und es wäre zweifelhaft, ob er es mit dem doppelten oder gar mehrfachen Personal könnte. Man müsste sogar ehrlicherweise fragen, ob er überhaupt eine solche Systemänderung überleben würde. Das wäre eine Operation am offenen Herzen mit ungesichertem Ausgang!
Nun ist manche Kritik am idw deswegen nicht falsch. Und es ist zu loben, dass Elisabeth Hoffmann sich selbst ausdrücklich an die eigene Nase packt. Einiges von der Kritik, das höre ich aus dem idw, wird er aufnehmen und nach Lösungen suchen. Die geforderte und erforderliche Qualitätskontrolle ist schon in den letzten Jahren gewachsen und wächst weiter. Aber man muss wissen: dafür reicht das vorhandene Geld bald nicht aus; das Team arbeitet schon seit einiger Zeit an der Grenze der Belastbarkeit. Und dennoch ist der Systembruch nicht drin.
Neues Denken
Es gäbe aber sehr wohl Modelle, über die man gemeinsam in der Community der Wissenschaftskommunikation (und vielleicht des Wissenschaftsjournalismus) nachdenken sollte. Ich will sie hier nur Weniges andeuten, weil ich selbst nicht mehr in der Verantwortung für die Zukunft des idw stehe:
- Denkbar wäre ein „Premiumdienst des idw“: Mitglieder lassen ihre Meldungen freiwillig (!) vor der Veröffentlichung von Redakteuren überprüfen, die der idw dafür extra beauftragt. Die Meldungen werden anhand der „Kriterien der Leitlinien guter Wissenschafts-PR“ geprüft; die Kosten dafür trägt jedes Mitglied selbst, bekommt dafür auf seine Meldung das Siegel „idw-geprüft“;
- Denkbar wäre die Gründung einer „Agentur des idw“, die für die Mitglieder gegen Bezahlung, die Texte anhand der Qualitätskriterien der genannten Leitlinien sogar selbst verfasst;
- Deutlich weitergehend wäre die Gründung eines vom idw unabhängigen, aber vielleicht doch auf der idw-Community aufgebauten deutschsprachigen Dienstes „theconversation“.
Insbesondere die letzten beiden Modelle benötigten eine Anschubfinanzierung in jährlich sechsstelliger Höhe für die ersten ca. fünf Jahre durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft oder anderer Stiftungen. Ob die Bereitschaft dazu besteht? Immerhin hat das BMBW (so hieß das BMBF damals) 1996 die Mittel für den idw bereitgestellt und dürfte es bis heute nicht bereut haben. Denn der idw steht vor seinem 25jährigen Jubiläum – und welches „start-up“ kann das schon von sich behaupten?