Wissenschaftskommunikation gegen den Strich gebürstet 

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Es war eine bemerkenswerte Eröffnungsrede, die Prof. Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG, zum Start des Forums Wissenschaftskommunikation 2018 in Bonn gehalten hat. Bemerkenswert, weil sie fast alle Standards in Frage stellte, die im letzten Jahrzehnt der Wissenschaftskommunikation Bedeutung verliehen haben. Sie hat aus meiner Sicht sehr überzeugend die Wissenschaftskommunikation gegen den Strich gebürstet.

Manche Teilnehmer klangen im Anschluss eher ratlos. Aus deren Raunen hörte man Wortfetzen wie „verstaubt“, „rückwärts gewandt“ oder „längst überwunden“ heraus. Reiner Korbmann kommentiert in seinem Blog die Rede eher einseitig: „Der Elfenbeinturm wirft noch immer seinen Schatten“, und verweist auf dem „harten Wettbewerb mit allen anderen Kräften der Gesellschaft“. Deswegen benötige, so Korbmann, die Wissenschaft eine Kommunikation, die auf „Transparenz und Partizipation drängt“ und „auch wirklich die Menschen in dieser Gesellschaft erreicht“. Tatsächlich alle? möchte man ihn zurück fragen … Jan Steffen wendet gegen Priems Verdikt des „barrierenfreien Abenteuerspielplatz“ ein: „Schon ein Wort, das Leserinnen oder Leser nicht verstehen, kann dazu führen, dass sie ‚aussteigen‘ und den Text nicht weiterlesen. Auf die Bandbreite der Wissenschaftskommunikation übertragen bedeutet das: Schon kleinste Barrieren können Menschen abschrecken.“ Aber doch nur, weil Wissenschaftskommunikation schon seit Jahrzehnten glaubt und kräftig daran arbeitet, dem Publikum nichts mehr zumuten zu dürfen. 

Was hat denn nun Julika Griem so Schlimmes unter der Überschrift „Zumutungen“ verkündet, dass viele wie aufgescheucht klangen? Ihre These war ebenso schlicht wie deutlich: „dass die gegenwärtige Wissenschaftskommunikation in einigen ihrer dominanten Tendenzen zu einseitig ausgerichtet ist und dass damit problematische Vereinfachungen riskiert und Chancen vergeben werden“. Ist das so falsch? Ihre These illustrierte sie philologisch eloquent an wenigen grundsätzlichen Tendenzen: der „Narrativisierung“ und der „Eventisierung“ von Forschung. Beispiele aus Fernsehformaten („komische Brot- und Spiele-Formen“) charakterisierte sie als „Kultur des Spektakels“ und geißelte schließlich die wiederkehrende Formel vom Publikum, das „abgeholt werden“ müsse mit dem „Flixbus zum nächsten Science Slam“. Mich erinnerte diese Formel auch  an das Kind, das von seinen Helikoptereltern mit dem SUV von der Grundschule hingebracht und abgeholt werden muss, weil man ihm nicht mehr den Schulweg allein zutraut. Aber hier fängt schon die ganze Malaise an.

Mit Blick auf Max Webers inzwischen Hundert Jahre alten Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“ kritisierte Griem zudem, dass Forschung stets metaphorisch mit „Abenteuer“ gleichgesetzt werde. Sie dekonstruierte philologisch die Leerstellen von „Abenteuern“ und füllte sie neu auf: „Erzählt man Wissenschaft als abenteuerliche Jagd nach dem nächsten großen Ding, wird Wartezeit in Spannung übersetzt. Beschreibt man Wissenschaft als in vieler Hinsicht unspektakuläre Suche, geht es eher um Beharrungskraft, Geduld und die Fähigkeit, Langeweile produktiv machen zu können.“ 

Natürlich ist Griem, die als Philologin über Erzählformen Josef Conrads und TV-Krimis gearbeitet hat, sehr wohl damit vertraut, wie Erzählungen funktionieren, wie erzählte Zeit komprimiert, Erzählzeit gedehnt wird, wie Spannungsbögen und Dramatisierungen auf- und wieder abgebaut werden. Und es ist ein Irrtum des Publikums zu glauben, dass sie sie aus der Wissenschaftskommunikation gänzlich bannen will. Sie will nur deren Dominanz aufbrechen. Wissenschaftskommunikation soll sich nicht auf diese Formen allein verlassen oder gar beschränken. Vielfalt von Formen, statt Einfalt von „Narrativität“ und „Event“, ist ihre Devise. 

Das erweist ein längeres Zitat: „Braucht es zudem Protagonisten, mit denen sich das Publikum identifiziert, mit denen gefiebert und gelitten werden kann, um etwas über Wissenschaft zu sagen? Sollte man nicht eher auf Formen des Beschreibens, Erklärens und Argumentierens setzen? Ich bin jedenfalls überzeugt davon – und das sage ich als Erzählforscherin –, dass wir mit dem gegenwärtig zu beobachtenden Boom des Storytelling unsere Möglichkeiten signifikant einschränken.“

Liest man ihre Rede in Verbindung mit der satirischen „Anklageschrift“ der Session „Wissenschaftskommunikation vor Gericht“, wird deutlicher, worum es im Kern geht: den letzten Rest von Eros für Anstrengung und Ernsthaftigkeit vor allzu simplem Klamauk zu retten. Staatsanwalt Dr. Argwohn (alias Dr. Andreas Archut, Uni Bonn): „Der Gipfel der Anmaßung ist die mittlerweile praktisch flächendeckende Verwendung des Begriffs ‚Wissenschaftskommunikation’ für Aktivitäten, die korrekterweise als Wissenschafts-PR oder -Marketing zu bezeichnen wären …“ und er fährt fort: „Die Angeschuldigte wird insbesondere bezichtigt, Drucksachen und elektronische Publikationen produziert und in Umlauf gebracht zu haben, die vor allem der Befriedigung von Eitelkeiten dienen, sog. ‚Vanity Publications‘ – gerne auch zu Jubiläumsanlässen, oder die Durchführung von ‚Tagen der offenen Tür’ und dergleichen, die erwiesenermaßen langweilig sind und nur von den Institutsangehörigen, die dazu verdonnert wurden, besucht werden – und ihren Familien“. Ja, Satire, aber präziser gehts kaum.

Wissenschaftskommunikation verschwendet Zeit und Mittel, wenn sie dem Publikum nur Vereinfachungen bis zur Banalität bietet. Stattdessen will Griem – noch sehr milde ausgedrückt – es „zärtlich überfordern“. Wer aber nur dies im Ohr behielt, dem sei ganzen Satz mit allen Adverbien erinnert: „Grundsätzlich möchte ich dafür plädieren, unser Publikum nicht einfach irgendwo ‚abzuholen‘, sondern sorgfältig, umsichtig, furchtlos und man könnte auch sagen zärtlich zu überfordern.“ Wissenschaftskommunikation soll also dem Publikum nicht ständig nur Fingerfood oder hors d’ouvres servieren, sondern sehr wohl auch das üppige Fünf-Gänge-Menue zumuten, selbst wenn danach ein Verdauungsschnaps fällig wird.

Zumutung heißt auch, dass Wissenschaftskommunikation gelegentlich auch einen anderen Stil und eine andere Haltung benötigt: „Nüchternheit, Realismus und Bedachtsamkeit – und vielleicht sogar mit Humor“ kombiniert. „Was wir aus meiner Sicht aber brauchen, ist kein barrierefreier Abenteuerspielplatz. Sondern ein bisschen mehr hartnäckiger und frustrationstoleranter Ernst für die Sache. Und das Vertrauen, dass sich gerade aus Konflikten, Spannungen, Widersprüchen und Perspektivenvielfalt kommunikative Funken schlagen lassen.“ Also darf man dem Publikum auch zumuten, den Eingang eines klassizistischen Gebäudes mit Karyatiden oder Atlanten als Konsolenhalter zu betreten, anstatt dieses als Schreckgespenst an die Wand zu malen, so Philipp Schroegel wiederholt in seinen Folien (abgesehen davon, daran sei erinnert, sind die meisten Unis inzwischen moderne Betonbauten).

Wissenschaft kostet Mühe und Zeit, kostet Organisation, Koordination, benötigt Ruhe und Kontemplation. Wer als Pressesprecher „zwischen den Stühlen“ sitzt und manchem Journalisten oder „Eventmanager“ klar machen muss, dass Wissenschaft langsam arbeitet, wie eine Schnecke nur vorwärts kommt, trifft oftmals auf Unverständnis und Kopfschütteln angesichts der Hast heutiger Arbeitsbedingungen in den Medien. Die Langsamkeit der Forschung konterkariert nunmal das Denken von „fast forward science“. 

Was folgt aus dem? Staatsanwalt Arwohn hat „Resozialisierungsmaßnahmen“ vorgeschlagen und es so sehr genau auf dem Punkt gebracht: 

  • „Konsequente, unabhängige Evaluation von allen Maßnahmen der Wissenschafts-PR im Hinblick auf ihre Wirkung sowie auf ihre Kosten-Nutzen-Verhältnisse;
  • Maßnahmen zur externen Qualitätssicherung (z.B. echte, kritische Redaktion für Pressemitteilungen beim idw);
  • Organisatorische Trennung in den Wissenschafts-Institutionen von Wissenschafts-PR, Marketing und anderen Formen der Reputationskommunikation von der Wissenschaftskommunikation im eigentlichen Sinne;
  • Trennung von Information und Werbung in allen Produkten, die als Information daherkommen und nicht auf Anhieb als Marketing zu erkennen sind – ähnlich zur Trennung von Redaktion und Anzeigen in journalistischen Medien.“

Damit wäre schon viel erreicht. Wenn man sich dann noch über die Ziele der Wissenschaftskommunikation verständigte und auch mal offen zu fragen wagte, wen man tatsächlich erreichen will, und wen man realistischerweise auch wirklich erreichen kann, wäre noch viel mehr erreicht. 

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