Wächst zusammen, was nicht zusammen gehört?

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Unzeitgemäße Betrachtungen zu einem zeitgemäßen Theaterstück

Nach der Veröffentlichung des Siggener Impuls 2018 ist eine Diskussion nicht über den Inhalt des Textes, sondern über den von ihm transportieren Begriff „Wissenschaftskommunikation“ entbrannt. Zwei Beiträge mit einander diametral widersprechenden Positionen erscheinen auf der Bühne:

Die Schweizer Wissenschaftsjournalistin Heidi Blattmann wirft ein, es „sträubt sich alles in mir, mich als Journalistin in eine Kategorie – die der Wissenschaftskommunikation – einzugliedern, in die ich meinem Verständnis nach nicht gehöre“. Ihr Unbehagen spitzt sie zu: „Diese Umdeutung des Begriffs Wissenschaftskommunikation schadet aber nicht nur der Aussagekraft des Siggener Impulses von 2018, sondern der Kommunikation aus der Wissenschaft insgesamt!“. 

Als Kontrahent stürzt Markus Pössel auf die Bühne: Er argumentiert als vernachlässigter Wissenschaftler, der sich in der engen Definition von Wissenschaftskommunikation (= Wissenschafts-PR) nicht wiederfindet. Sein Plädoyer läuft auf eine weite Definition von Wissenschaftskommunikation hinaus, also einschließlich Wissenschaftsjournalismus. Das wäre nur eine Stimme unter anderen, wenn nicht Markus Pössel weitgehend die Definitionsmacht von „Wissenschaftskommunikation“ auf Wikipedia in Händen hielte.

Als Elefant im Porzellanladen betrete nun ich die Bühne. Markus Pössel und ich leisten uns auf Twitter und in Mails eine heftige Diskussion, ohne uns auch nur im Ansatz anzunähern. Sie kreist um dieselbe Frage: Gehört der Wissenschaftsjournalismus zur Wissenschaftskommunikation oder nicht. Mein Standpunkt eindeutig Nein!

Wer meint wen beim „Versagen der Wissenschaftskommunikation“?

Wenige Tage nach diesem Disput eskaliert plötzlich auf einer weit größeren Bühne eine andere Diskussion, ausgelöst von 100 Lungenärzten unter der Führung von Prof. Dr. Dieter Köhler: „Die Feinstaub-Debatte war, in Sachen Wissenschaftskommunikation, ein ziemlicher Super-GAU“ (Hervorhebung im Original), steht im ZEIT-Campus-Brief vom 31. Januar. Diesen twittert Stefan Schmitt (Wissenschaftsressort der ZEIT ) mit Kommentar: „Streit um NOx+Feinstaub als Versagen der #Wissenschaftskommunikation (…)“. Woraufhin Henning Krause (Social-Media Mitarbeiter der Helmholtz-Gesellschaft) ihm sofort beipflichtet. Sein Retweet gipfelt in: „In der Tat leider ein Versagen der gesamten Wissenschaftskommunikation. *andieeigeneNaseFass*“

Ich habe so meine Zweifel, ob Schmitt und Krause vom selben Gegenstand sprechen, als sie der „Wissenschaftskommunikation“ Versagen bescheinigen? Also befrage ich beide. Stefan Schmitts Antwort ist eindeutig: „Ich zähle Journalismus, auch im Wissen(schaftsteil) nicht dazu, sondern nur die Kommunikation des Wissenschaftssystem selbst, von Uni-Pressestellen bis zu bloggenden Professoren.“ Anders Henning Krause. Von ihm kannte ich noch den Blog mit der Definition: „Ich verstehe unter Wissenschaftskommunikation alles, was zum Thema Wissenschaft kommuniziert wird: also Kommunikation über und an die Wissenschaft sowie von, mit und innerhalb der Wissenschaft.“ Jetzt kommen ihm Zweifel: „Ich muss allerdings zugeben, dass mir die Argumente, die ich insbesondere von Christian Schwägerl dazu in den vergangenen Wochen gesehen habe, auch total einleuchten. Insofern gestehe ich Dir mal ganz offen: Ich denke da gerade wieder neu drüber nach. Und ich bin damit noch nicht fertig.“ Christian Schwägerl (Riff-Reporter) hatte Markus Pössels „Aufruf an die Wissenschaftsjournalisten“ auf Twitter beantwortet mit: „Wenn man Metaebene und Praxis begrifflich vermengt, wird der für den Journalismus essentielle Unterschied von Sender und Empfänger aufgehoben. Dann sind künftig Wirtschaftsjournalisten auch Teil der Firmenkommunikation und Politikj. gehören zur Parteienkommunikation. #notgood

Kann ich mich nun zufrieden zurücklehnen? Der Wissenschaftsjournalismus gehört nicht eingenordet unter die Wissenschaftskommunikation. Zwar berichten beide über Wissenschaft, aber aus unterschiedlichen Systemen: die Wissenschaftskommunikation ist Teil des Systems Wissenschaft und wird aus ihm finanziert, der Wissenschaftsjournalismus ist Teil des Mediensystems und findet dort – leider immer weniger – sein Auskommen.

So einfach ist es nicht. Denn jene, die Wissenschaftsjournalismus unter die Wissenschaftskommunikation einordnen, haben ganz anderes im Sinn – so meine Vermutung. Die Argumentation von Markus Pössel lasse ich beiseite – trotz seiner Definitionsmacht auf Wikipedia. Seine Intention ist klar: Er will in erster Linie Wissenschaftlern eine Stimme auf dieser Bühne verschaffen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, ordnete er nicht den Wissenschaftsjournalismus darunter ein. Mit seinem Glauben an Objektivität von Definitionen missachtet Possel die verbreitete Erkenntnis Ludwig Wittgensteins: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ (Philosophische Untersuchungen, Nr. 42). Pössels Definition ist rein nominalistisch; sie verkennt politische Implikationen, die auch einer nominalistischen Definition innewohnen. Schlimmer noch: die Wissenschaftsjournalisten werden nicht einmal gefragt, ob sie dazugehören wollen. Kein Wissenschaftsjournalist hat mir bislang gesagt, er sei „Teil der Wissenschaftskommunikation“. So zeugen die dürren Sätze zu „Wissenschaftsjournalismus“ im Wikipedia-Beitrag „Wissenschaftskommunikation“ von Possels mangelndem Verständnis für jene Zunft.

Von aufrechten Verteidigern 

Dieselbe Definition, aber andere Absichten hegt der Siggener Impuls 2018. In einer Fußnote definiert er: „Unter Wissenschaftskommunikation verstehen wir hier die externe Wissenschaftskommunikation. Dazu zählen wir sowohl die institutionelle Wissenschaftskommunikation, die von professionellen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, aber auch von den in den Wissenschaftsinstitutionen angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern betrieben wird, aber auch die „freie“ Wissenschaftskommunikation außerhalb dieser Organisationen sowie auch den Wissenschaftsjournalismus“. Die „Siggener“ sind ein politisch sehr bewusster Kreis, der Einfluss auf die Wissenschaftspolitik auszuüben versucht. 

Als aufrechte Verteidiger der Siggener kommen sogleich Franz Ossing und Josef Zens auf die Bühne. In ihrem „Systemischen Blick auf die Wissenschaftskommunikation“ glauben sie, dass die Diskussion, ob der Wissenschaftsjournalismus nun dazu zählt oder nicht, „ein wenig aus der Zeit gefallen (sei – jk), denn alle Diskutierenden wissen ja um den Medienwandel. Vor allem verdeckt es das eigentlich Innovative an den Siggener Impulsen 2018: Den systemischen Ansatz, auf dessen Basis Vorschläge an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik, Wissenschafts-PR und Medien entwickelt werden sollen.“ Wirklich?

Am Siggener Impuls fällt schnell auf: a) dass sich unter den 20 Teilnehmern nur zwei Journalisten befanden; und b) dass der Text fast ausschließlich neben allgemeiner Zeitdiagnostik Forderungen an die Wissenschaftskommunikation adressiert, dabei auf „Wissenschaftler und Wissenschafts-PR zielt. Der „Wissenschaftsjournalismus“ spielt in ihm nur eine Nebenrolle, und dann nur in fast verschämtem Beiseitesprechen: bei der „Bereitstellung von Ressourcen … (mit aller gebotenen Vorsicht vor Einflussnahme) den kritischen Wissenschaftsjournalismus fördern“ sowie als Teil der „Schicksalgemeinschaft“ … und „Bei aller Unterstützung, die die Wissenschaft dem Journalismus zukommen lassen sollte, gilt es also, eine Rollenverteilung zu wahren …“ Auch den Begriff „Journalisten“ muss man darin mit der Lupe suchen, und auch er findet sich wieder im Zusammenhang von „Ressourcen und Freiräumen“.

Money makes the world go round

Liegt hier etwa der Hase im Pfeffer? Folgen wir also der Spur des Geldes. Handelt also das Stück von „Ressourcen für den Wissenschaftsjournalismus“? Um den Zusammenhang zu erklären, muss ich ältere Texte heranziehen. Im November 2018 haben kurz vor einem Treffen von ca. 50 Personen aus Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation bei Ministerin Karliczek im BMBF Volker Stollorz und Reinhard Hüttl in der ZEIT eine „Stiftung für den Wissenschaftsjournalismus“ ins Spiel gebracht. Ihre Forderung lautete, sie aus Mitteln der Forschungsförderung zu speisen. Meine Gegenargumente habe ich darauf hier und auf wissenschaftskommunikation.de erläutert. Nur nebenbei bemerkt: Stollorz gehört zum Siggener Kreis.

Kurz nach den beiden aktuellen Debatten im Januar 2019 zum Siggener Impuls und zur Feinstaub-Aufregung betritt plötzlich Franco Zotta, seines Zeichens Geschäftsführer der Wissenschaftspressekonferenz, die Bühne: In seinem Text „Ausweg Stiftung? Ein Debattenbeitrag“ wiederholt er die Forderung und heißt (auf Nachfrage) Geld aus der dem BMBF als sehr willkommen. Zudem verknüpft er ritterlich die Rettung des (Wissenschafts-)Journalismus – gleich Stollorz und Hüttl – mit der Rettung der Demokratie. Heidi Blattmann und ich schütteln unsere Köpfe und melden unsere Bedenken an. 

Abgesehen davon, dass ich derzeit in Deutschland die Demokratie trotz mancher Anfechtungen nicht gefährdet sehe, konkretisieren sich meine Bedenken in wenigen Fragen, die bislang kein Beteiligter beantworten wollte: Wieviel Geld steht auf dem Spiel? Wie soll das Government dieser Stiftung aussehen? Woher noch soll das Geld für die Stiftung kommen? Wer soll von dieser Stiftung profitieren? Was soll diese Stiftung fördern? Und wie will diese Stiftung „die Demokratie retten“?

Solange diese Fragen unbeantwortet sind, muss ich leider vermuten, dass es manchem Beteiligten auf der Bühne mit der weiten Definition um modernes „Win-Win-Spiel“ geht. Auf kurze Sicht verbessert die Wissenschafts-PR ihr Image, indem sie die Unterschiede zum Wissenschaftsjournalismus einebnet („juhu: wir sind eine große Familie!“). Der Wissenschaftsjournalismus wiederum schielt auf Profit, indem er unter die warme Decke der betuchten Wissenschaftskommunikation schlüpft und sich von ihr Alimente erhofft. Sehe nur ich in dieser Win-Win-Situation eine gewisse Perfidie? Meine Bedenken: Langfristig könnte sich die Verwischung von Grenzen gerade für den Wissenschaftsjournalismus als Boomerang erweisen: Seine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. 

Schlussvorhang: Wächst also etwas zusammen, was nicht zusammen gehört?

Kurz vorm Schlussvorhang brechen dann doch noch in Konflikten die Differenzen auf: Josef Zens, der am Siggener Impuls mitgeschrieben und mit Franz Ossing den „systemischen Blick auf die Wissenschaftskommunikation“ gewagt hat, leistet sich schließlich in der Feinstaub-Aufregung einen starken, aufgeregten Auftritt: In seinem lesenswerten Beitrag „Überdenkt Eure Anspruchshaltung“ lies er dem (Wissenschafts-)Journalismus deutlich die Leviten. Aus seinem Text fällt es einem schwer herauszulesen, dass Wissenschaftsjournalismus eine Untergliederung der Wissenschaftskommunikation ist und beide so eng verflochten sind.

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4 thoughts on “Wächst zusammen, was nicht zusammen gehört?

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