„Man fühlt Absicht, und man ist verstimmt“ 

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Vorrede

Weit Berufenere als ich haben die neue Stellungnahme der Akademien der Wissenschaft zu „Wissenschaft Medien Öffentlichkeit“ ernsthaft kommentiert (wissenschaftskommunikation.de; wissenschaftkommuniziert.wordpress.com). Ich will hier ihre guten Argumente nicht wiederholen, sie sind aus den jeweiligen Blickwinkeln stimmig und hervorragende Beiträge zur allgemeinen Diskussion.

Das Thema will ich dagegen aus einer anderen Perspektive angehen, gleichsam à rebours aus der der Geschichtenerzähler und des Theaters. Theaterliebhaber werden natürlich das Zitat der Überschrift als aus Goethes „Torquato Tasso“erkannt haben. Nun räubere ich ein bisschen darin und anderswo, und ich komme nicht umhin, Goethe und den anderen etwas Gewalt anzutun. Verhalte ich mich aber anders, als Regisseure und Dramaturgen, die alte Stücke in neue Kleider packen? Gibt es überhaupt noch eine Aufführung von Stücken klassischer Dichter, die ihnen nicht Gewalt antut?

Zur Aufführung

Die Bühne ist übervoll, mehr als 17 Personen bevölkern sie abwechselnd, dürfen Vorgegebenes, Vorgeschriebenes, Vorbedachtes, auch sogar Spontanes zum Besten geben; nur der Zeremonienmeister verhaspelt sich fortwährend. Das entspricht heutiger Aufführungspraxis; Jamben kommen nicht mehr vor (wer kann sie schon heraus noch hören?), sie lohnen der Mühe nicht, wie überhaupt rhetorische Figuren Fehl am Platze sind. Zu viel wird der Hast zum Opfer fallen müssen, kaum einer Figur ist die Zeit gegeben, der sie bedürfte, um alles hier abzuladen, das sie mühsam hergetragen. Einzig eine Politikerin zeigt neben Courage vergeblich noch, dass sie Rhetorik für ihren Beruf erlernt habe.

Aber die meisten der Akteure auf der Bühne sind, glauben Sie mir, nicht der Rede Wert –  so wichtig sind ihre Beiträge nicht und wollen auch nicht so recht ins Stück passen. Sie bilden nur die Staffage.

Zu guter Letzt, ach das Publikum. Mag das Stück ihm gewidmet sein, es spielt in ihm so gut wie keine Rolle. Soll es doch gefälligst später sich mokieren, und bitte, es möge seine Buhrufe diskret anderswo erschallen lassen. Zu wertvoll ist die Zeit, sind die drei oder mehr Jahre gewesen, die das Stück zu seiner Entstehung bedurfte, da bleibt für die Aufführung heute kaum Zeit mehr übrig. Die dramatis personae müssen doch schon bald fort zum nächsten Theater und Engagement.

Außerdem: Soll das Publikum doch froh sein, einer Exklusiv-Aufführung beiwohnen zu dürfen.

Ein Schelm macht noch kein Drama

Natürlich spielt Tasso in diesem modernen Stück nur noch eine Nebenrolle, anders als bei Goethe, da er die zentrale Person, den Dichter gibt. Hier in diesem Stück gibt er den erfolgreichen Narren, der allerdings seine Narrenkappe längst abgelegt hat. Shakespeare galten Narren noch viel und sprachen die Wahrheit aus, und wurden, wenn sie versagten, geköpft. Ach, armer Yorick, was ist aus Dir nur geworden …

Heute wird der Narr nicht mehr geköpft. Dazu ist er zu erfolgreich. Er hat in den letzten 20 bis 30 Jahren gelernt, die Narrenkappe gut zu verbergen – und findet sie gar kaum noch wieder. Seine Rolle hat er umgeschrieben und ist mit ihr weit über sich hinausgewachsen. Inzwischen darf er über sehr viel ihm jährlich stets verliehenes Geld verfügen – ein Zeichen für das steigende Vertrauen, das ihm allmählich zukommt. Sein Erfolgsrezept ist denkbar einfach: Er huldigt den Mächtigen, bedient ihre großen und kleinen Eitelkeiten und schürt den Neid ihrer Konkurrenten; an beidem weidet er sich gern heimlich. Viele Herzöge und Fürsten sind bald bereit, ihn ausreichend zu alimentieren.

Wohlgemerkt: Noch vor 30 Jahren war er weitgehend unbeachtet und konnte sich mal mehr, mal weniger seinen Narreteien hingeben und seinen Spaß daran haben. Mit dem neuen Erfolg gehört er aber nun dazu und will es sich nicht mehr mit den Großen verderben. Erneut macht das Sprichwort die Runde: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. So bedient er gut die Mächtigen und putzt deren Gefieder blank und die Westen weiß. Geliebt wird er trotzdem von ihnen nicht! Und so achten sie auch sehr wohl darauf, den Lakaien auf Distanz zu halten, wohlwissend, sie könnten leicht als Teil der Farce gesehen werden.

Und er? Obwohl er gerne Erfolg und Anerkennung genießen würde, wagt er das wohlwissend nicht! Und er tut gut daran sich zu hüten, öffentlich die geschwellte Brust zu zeigen. Er weiß gut, er ist aus diesem Stück nicht mehr wegzudenken, auch wenn manche ihn gerne wie einen Hund vor die Hütte jagten. Er ist unentbehrlich geworden, verschafft er vielen Fürsten, Herzögen und gar dem König die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt und an der sie so inbrünstig sich laben. Aufmerksamkeit ist heute die Währung. So hat der ehemalige Narr dafür zahlreiche neue, laute Schellen erworben, und aus früheren Zeiten nur das Lebensmotto ins Heute gerettet: „Erlaubt ist was gefällt!“

Dramatis personae: Herzöge und Fürsten

Die wichtigste Rolle fällt der Schar der Herzöge zu. Ihnen sind jeweils sehr viele Fürsten unterstellt, die ihnen huldigen. Sie huldigen ihnen nicht nur, weil sie in deren Licht sich sonnen wollen, sondern weil sie von ihnen abhängig sind und von ihnen die Mittel und Räume haben, ihrer Bestimmung gemäß Neues zu erkennen und die Wahrheit zu finden. Je größer die Herzogtümer, desto mehr Fürsten. Und so tragen viele Fürsten zum Erfolg der Herzöge bei und werden von diesen belohnt – natürlich mit weiterem Gold, das sie für die Alchemie benötigen und die Verliese mit noch mehr Sklaven zu füllen. Unbestritten: Natürlich brauchen jene das Geld, damit diese erkennen, was die Welt zusammenhält. Aber weder unter den Herzögen noch unter den Fürsten herrscht Gleichheit. Galt noch unter den Aposteln „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ So heißt es seit langem mephistophelisch: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“.

Jeder Herzog muss auf Ausgleich bedacht sein, so sehr ihm seine eigenes Spiegelbild gelegentlich im Wege steht: Er ist nur dann erfolgreich, wenn er viele Fürsten hat und sie weidlich belohnen kann. Und über Ihnen allen thront die Königin, die das Vermögen des Reiches mehrt, verwaltet und die Güter nach Gutdünken und Gutreden verteilt.

Warum haben aber Herzöge und Fürsten plötzlich Angst vor dem gemeinem Volk? Was fürchten sie sich nur vor dem lauten Gebrüll vor der Tür? Haben sie nicht etwa selbst zu dessen Belustigung beigetragen, als einige sich auf Kanonenkugeln durch die Luft schießen ließen? Verlangt das Volk etwa ungebührlich nach einem eigenen Part in diesem Theater? „Wir raunen ihm doch deutlich und unentwegt zu, anders als unsere Narren: ‚Erlaubt ist was sich ziemt‘“?

Der alte Chor sucht nach neuer Bedeutung

Herzöge und Fürsten stehen in diesem Stück vor einem Dilemma: Sollen sie ihren Narren das Ohr leihen, die dem Volk mit „erlaubt ist, was gefällt“ das Wort reden? Oder auf den düsteren Chor der Philosophen hören, aus dem es unisono laut herausschallt: „ERLAUBT IST NUR DIE WAHRHEIT“?

Die Philosophen waren als erste da und lassen sich nicht gern abspeisen. Sie waren in früheren Zeiten die Mächtigen, sie wählten aus, was das Volk hören durfte, was in Stein zu meißeln sei, und sie bestimmten, welches Manna über das Volk regnen solle. Ihr Erfolgsrezept war, sich im Besitz der vollen Wahrheit zu wissen. Über viele Jahre durften nur sie die Erkenntnisse der Fürsten durchleuchten. Diese mussten sich sogar gefallen lassen, dass die Philosophen nur spärlich auswählten, welche Stücke aus der Fürsten Erkenntnisfülle das gemeine Volk abzubekommen habe. „Wie können ach nur die Narren glauben, das Volk verdaue die ganze Wahrheit?“, denken sie kopfschüttelnd nicht nur still und heimlich vor sich hin.

Doch leider haben sie diese mächt’ge Rolle verloren, die Steintafeln sind ausgegangen oder zu teuer geworden, und ihre Rolle den Narren mit ihrem Aufstieg zugefallen. Zu gut schaffen diese, größere Teile vermeintlicher Wahrheit dem Volk als Honig um den Bart zu schmieren. Philosophen dagegen finden kaum mehr Orte, wo sie in alter Manier die Worte in Stein noch meißeln dürfen, suchen inzwischen gar selbst den Beifall des Publikums. Dennoch: Alte Steintafeln zerbröseln und die Philosophen müssen immer mehr zusehen, wie seltener noch Exemplare ihrer Zunft auf der Bühne Platz und Auskommen finden. Sie verlieren sogar viele ihrer Besten an die ungeliebte Narrenzunft.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch …“, dichtete ein Zeitgenosse Goethes, der dennoch nicht, weinende Philosophen vor dem Sprung in den Vulkan zu retten wusste. Aber Philosophen sind bekanntlich auch überaus listig und verfolgen beharrlich ihr heimliches Ziel: die Narren wieder aus dem Weg zu räumen. Dafür ersonnen sie zwei mächt’ge Mittel: Sie wählten den vermeintlich Besten aus ihrer Zunft aus und verschafften ihm listig ein kleines Fürstentum, damit er sich den großen Herzögen nähere und ihnen ins Ohr flüstern könne, „erlaubt ist nur die Wahrheit“. Außerdem gründeten sie ein schönes neues „Haus der Wahrheit“, in dem nur sie Platz nehmen dürfen.

Ein Stück ohne Akte, Dialoge und mit spärlicher Handlung

Nachdem nun die Konstellation bekannt, schreiten wir zum Ort der Handlung. Es ist das Hohe Haus, in das gewöhnlich nur Herzöge in der Hauptstadt des Landes zusammen kommen. Diesmal sind aber nur vereinzelte Herzöge, dafür viele Fürsten, wenige Philosophen und sogar ein Narr in die Ratsversammlung aufgenommen. Dieser Rat hat sich also heute zur Verkündung eingefunden, nachdem er sehr tief, lange und intensiv nachgedacht. Schon bevor das Parkett sich füllt, verteilt er seine Empfehlungen für das allgemeine Gesunden von Volk und Wissen.

Die Verkündung

„Höret was der Hohe Rat zu verkünden hat.“, sagt der Zeremonienmeister. „Es geht um nicht weniger als darum, Wie das Volk in Zukunft zu behandeln sei. Wie es vor Gauklern und Narren zu schützen sei, damit es nur glaube, was Herzöge, Fürsten und Philosophen ihm als Wahrheit zubilligen.“

„Wir verkünden Euch nur die wichtigsten Ratschläge unserer hohen Versammlung, als da sind:

  • Wir sprechen über das Volk, aber nicht mit ihm!
  • In Zukunft soll nur gelten: „Erlaubt ist die Wahrheit, die sich ziemt“
  • Wir bauen uns ein neues Ministerium der Wahrheit, auf das unser Volk zu hören hat;
  • Weil die Philosophen uns so guten Dienst erwiesen und weiter erweisen sollen, wird die Königin ihnen die Gnade erweisen, ab sofort jährlich eine großzügige Apanage auszahlen, auf das sie nicht mehr sich im Schweiße ihres Angesichts oder als heimliche Diener der Narren verdingen müssen;
  • Auch unsere Narren werden in Zukunft nur verkünden dürfen, „erlaubt ist die Wahrheit, die sich ziemt“; ihre lauten Schellen dürfen sie nicht weiter verwenden!“

Nachspiel: 

Das Stück im Hohen Haus ist aus, der Vorhang gefallen, die Schauspieler eilen zu neuen Ufern.

Draußen vor der Tür aber tanzt und feiert fröhlich das Volk (und mit ihm manche Narren). Es hat sich längst der lauten Schellen bemächtigt, täglich erfindet es selbst gar weitere Schalmeien und Trommeln, ersinnt, wie es sich in eigenen Zünften, Vereinigungen und Räte zusammenrotten will, sucht eigene Erkenntnisse und lässt Herzöge, Fürsten und Philosophen in ihren Ministerien und Häusern der Wahrheit friedlich weiterleben bis sie verstorben sind  …

Nachrede

War das nun ein überhaupt ein Theaterstück? Oder nur ein Kasperletheater? Die Verstimmung ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Ebenso wie das Publikum, das seinen Eingang in das Stück längst gefunden hat.

Gut so! Es war wohl kein „Torquato Tasso“, aber zum Schluss ein letztes Zitat aus ihm:

„Die Menschen fürchtet nur, wer sie nicht kennt,
Und wer sie meidet wird sie bald verkennen.“

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3 thoughts on “„Man fühlt Absicht, und man ist verstimmt“ 

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