Wenn die Familie sich gelegentlich trifft …

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Anmerkungen zur Tagung der Stiftung Volkswagen „Wissenschaft braucht Gesellschaft“ 

Ja, wie geht es denn nun weiter? Die Ausgangsfrage auf der Tagung „Wissenschaft braucht Gesellschaft – Wie geht es weiter nach dem March of Science?“ ist eben nicht diskutiert worden. Diesmal hatte die  VolkswagenStiftung zusammen mit der Robert Bosch Stiftung, der ZEIT und der Leopoldina zum „Familientreffen“ nach Hannover eingeladen, und es kamen zahlreiche Familienmitglieder: die üblichen Wissenschaftler*innen für ihre Organisationen, die besonderen Wissenschaftsjournalist*innen für ihre Zunft und die Handvoll Pressesprecher*innen, mit großem geordneten Laden und Zeit dafür. Fast alle kennen sich gut untereinander und wissen, wie der jeweils andere denkt. Die Fluktuation auf diesen Familientreffen ist deutlich geringer als in den meisten Institutionen der Wissenschaft selbst.

Wissenschaftsbarometer ist interpretierbar

Viel wurde der Vertrauensverlust der Wissenschaft beklagt. Bereits im Eingangsstatement mahnte Prof. Dr. Joachim Rogall, dass die „eigentliche Vertrauenskrise“ noch komme. Zu wenig ist aber differenziert worden, wer wo wann welches Vertrauen verloren hat. Das häufig ins Feld geführte Wissenschaftsbarometer 2017 ist interpretierbar und lässt Rückschlüsse in beide Richtungen zu: Mehr als 50 % vertrauen der Wissenschaft, und nur 12 % vertrauen ihr nicht oder eher nicht. Die große Mehrheit stellt für sich fest, dass sie von der Wissenschaft eher profitiert und dass sie mehr Nutzen als Schaden stiftet. Also alles gut, oder …?

Es ist leider kaum darüber gesprochen worden, was Vertrauen ist, wie es gewonnen und verloren wird, und welche Wissenschaftler warum Vertrauen verlieren. Wissenschaftler geraten – so meine Sicht – in die Kritik, a) wenn sie sich in die Politik einmischen und zudem den Menschen weismachen oder vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben – damit müssen sie umgehen lernen, und b) wenn sie sich korrumpieren lassen, etwa durch Geldgeber oder weil sie in der entfesselten Konkurrenz zu Mitteln greifen, die ihnen und der Wissenschaft selbst langfristig schaden, etwa zu Plagiaten, Datenfälschung oder Gefälligkeitsgutachten. Dagegen helfen nur strenge interne Regeln und Sanktionen. Es war Anna-Lena Scholz (ZEIT, Hamburg), die der Wissenschaft zurief: „Bevor man die Tür des Elfenbeinturms öffnet, sollte man drinnen aufräumen“ –  stimmt, auch wenn sie anscheinend noch nicht wahrgenommen hat, dass es den Elfenbeinturm längst nicht mehr gibt. Dennoch: der deutschen Wissenschaft geht es golden. Nie ist so viel Geld in die Forschung geflossen, wie in den letzten 10 bis 15 Jahren! Alles gut also?

Die Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Prof. Martina Brockmeier, betonte, dass Misstrauen in Wissenschaft durch die Abhängigkeit von Geldgebern entsteht, weil ihnen„unlautere Motive“ unterstellt werden. Sie nannte einen „gelungenen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft für beide nützlich und im eigenen Interesse“, und forderte Wissenschaftler direkt auf, persönlich sich in die Kommunikation mit der Gesellschaft einzubringen. (Dazu hat der Wissenschaftsrat kürzlich seine Stellungnahme zu Vertrauen veröffentlicht.) Nach Prof. Wolfgang Schön, dem Vizepräsidenten der Max-Planck Gesellschaft (MPG) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), treffen sich „Wissenschaft und Gesellschaft im gemeinsamen Erkenntnisinteresse“. Für ihn steht außer Zweifel, dass Wissenschaftler erkennen müssen, „wann ihr Thema aktuell ist“ und sich dann einbringen; umgekehrt müsse die Gesellschaft „akzeptieren“, dass „Wissenschaft ein Freiraum“ sei.

Wissenschaftsjournalisten auf Print und Öffentlichen Rundfunk fixiert

Das  Gros der anwesenden Wissenschaftsjournalisten stimmte wieder die Klage vom Niedergang ihrer Zunft an – wohl weil die meisten von ihnen noch immer auf die traditionellen Medien fixiert zu sein scheinen: auf die Prints der wichtigsten überregionalen Blätter und die öffentlichen Rundfunkanstalten. Der einzige, der auf jedem Familientreffen permanent daran erinnert, dass das Publikum längst in die sozialen Medien ausgewandert sei, ist Reiner Korbmann, der mit seinen 71 geradezu zu den Großvätern in der Familie zählt. So haben z.B. die Diskutanten in der Arbeitsgruppe „Welchen Einfluss haben die Medien auf den Prozess der Vertrauensbildung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit“ diese Leitfrage gerade nicht diskutiert, sondern hauptsächlich ihre Anliegen „vertreten“: Prof. Holger Wormer betete die 12 „apostolischen“ Empfehlungen der Akademien der Wissenschaft herunter, Christian Schwägerl warb fleißig mit Prospekten für die Riff-Reporter Genossenschaft und Stiftung, immerhin eine neue Initiative, und erklärte deren Aufgaben; schließlich Volker Stollorz, der zum wiederholten Male das Bild des Dschungels Wissenschaft  bemühte und die Segnungen des Science Media Center als Wegweiser durch ihn. Hätten an ihrer Stelle PR-Fachleute gestanden, sie hätten es jedenfalls nicht besser machen können!

Leitlinien guter PR diffundieren

Die „Wissenschaftskommunikatoren“, also die PRler, hatten in Hannover eher geruhsame und kritikfreie Tage im Ohrensessel. Das Wissenschaftsbarometer von Wissenschaft im Dialog wird allgemein wahrgenommen und als hilfreiches Instrument anerkannt, und Antworten auf die virulente Frage, wie auf die Vertrauenskrise zu reagieren sei, kamen fast reflexartig von den anderen: Mit mehr Kommunikation und also mehr Geld und Personal für die Wissenschaftskommunikation. Letztlich haben manche PRler für ihre Zunft den Job gut gemacht: Die „Leitlinien für die gute Wissenschaftskommunikation“ sind beschlossen, und sie diffundieren allmählich in die Community; es gibt sogar begründete Hoffnung, dass auch die Führungsebenen der Wissenschaftsorganisationen sie irgendwann zur Kenntnis nehmen könnten. Alles gut also?

Mitnichten! Den vielleicht klarsten Vortrag – nach der Keynote von Prof. Naomi Oreskes aus Harvard – hielt gerade ein „Werbefachmann“: Stefan Wegner, Partner und Geschäftsführer von Scholz & Friends Agenda, Berlin. Er identifizierte und begründete vier Felder des allgemeinen Misstrauens in der Bevölkerung gegenüber Eliten: a) deren institutionelle Angst vor Selbstkritik; b) deren ostentative Überzeugung  zu glauben stets das Richtige zu tun, also ihre Ignoranz, c) die institutionelle Verflechtung der Eliten mit der Politik und d) schließlich eine nur scheinbare, nicht wirklich ernst gemeinte Dialogbereitschaft. Leider blieben aber seine Vorschläge dann doch zu sehr im Nebulösen stecken; seine Schlagworte lauteten „Neue Schlichtheit“, „neue Ehrlichkeit“, „neue Unabhängigkeit“, „neue Sichtbarkeit“ und „neue Nähe“.

Mein Fazit aus dem „Familientreffen“:

  1. Um die Diskussion über Wissenschaftskommunikation zu vertiefen, muss man fragen, wie zu kommunizieren ist und wie man Vertrauen zurückgewinnen kann in einer Zeit schwindender Aufmerksamkeit bei gleichzeitig steigendem Bedürfnis des Publikums, alles in den sozialen Medien kommentieren zu wollen und müssen;
  2. Selbst wenn Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten sich einer Gegenaufklärung ausgesetzt sieht und ein ähnliches Schicksal zu erleiden scheint wie die Religion durch die Aufklärung vor drei Jahrhunderten, so ist mir (als nicht religiöser Mensch) – Naomi Oreskes’ Verweis auf Pascals „Wette“ äußerst sympathisch: Man solle der Wissenschaft einfach Glauben („faith“) schenken, nur so könne man immer gewinnen! Auf die Klimaveränderung bezogen hieße das,  selbst wenn die düstersten wissenschaftlichen Prognosen zum Klimawandel nicht eintreten sollten – indem wir uns so verhalten, als ob sie richtig sind und dieser vor der Tür steht, tun wir am Ende etwas zur Verbesserung der Welt.

Dass es schließlich doch eine Antwort auf die Ausgangsfrage gab, dafür sorgten die prämierten Organisatoren des „Science March“: 2018 gibt es wieder einen „Science March“ – und sicher weitere Familientreffen …

 

Eine leicht gekürzte Fassung des Textes ist erschienen unter: Wissenschaftskommunikation.de

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